Zwei Stunden stapfen wir schon durch den
Schnee. Das Gelände ist noch recht einfach zu begehen und das Mondlicht weist
uns den Weg. Viel lieber wären mir jedoch ein paar wärmende Sonnenstrahlen. Es
ist saukalt. Meine Fingerspitzen spüre ich schon wieder nicht mehr. Zum
wievielten Male halte ich nun schon an, um sie mir warm zu reiben? Jacke hoch,
Pullover hoch und Finger an den Bauch gesteckt. Ein Schock für den Bauch, eine
Wohltat für die Hände. Meine Uhr kann die Temperatur schon gar nicht mehr
anzeigen, sie will überhaupt nichts mehr anzeigen. Auch ihr ist es zu kalt.
Vor zwei Tagen befanden wir uns noch im Paradies. Zumindest kam uns
das kleine Dorf Sorata am Fuße der beiden Eisriesen
Illampu und Ancohuma so vor. Von der kargen Landschaft des Altiplano kommend,
begrüßte es uns in einem fruchtbaren Tal gelegen mit zahlreichen exotischen
Pflanzen wie übermannshohe Weihnachtssterne, Bananenbäumen und vielem mehr. Die
Jacke und der Pullover konnten endlich mal im Rucksack verschwinden, wir
genossen das milde und sonnige Klima. Für Birgit und Olaf, unserem frisch
vermählten Pärchen, hatte der Sinn einer Hochzeitsreise endlich wieder realere
Formen angenommen. Vorher durcheilten sie Peru, um sich mit uns pünktlich in La
Paz zu treffen. Christiana und ich frönten derweil dem Extrembusfahren in
Argentinien, wie Olaf auf Grund unserer tagelangen Busfahrten mal treffend
feststellte.
In Sorata untergekommen waren wir im Landhaus
Copacabana bei Don Eduardo. Sein richtiger Name ist Eduard Kramer. Er lebt
schon etliche Jahre in Bolivien, nach Deutschland kann er wegen seiner früheren
linksextremistischen Aktivitäten nicht, so munkelt man hier. Mit drei seiner
Maulesel und zwei Eseltreibern haben wir vor vier Tagen das Paradies Richtung
Ancohuma-Basislager verlassen.

Jetzt stehe ich hier, 3000m höher und zittere
inzwischen am ganzen Leib. Hätte ich nur die Daunenjacke nicht im Zelt
liegengelassen. Christiana war da schlauer. Schnell die Handschuhe wieder
angezogen und zum warm werden einen kleinen Sprint hingelegt. Nach ein paar
Schritten bin ich vollkommen außer Atem. Das ist also auch nicht die richtige
Taktik. So laufe ich langsam aber stetig ein paar hundert Meter, bevor ich
erneut wegen meiner tauben Fingerspitzen zum anhalten gezwungen werde.
Zum wiederholten male frage ich mich, warum
ich mir das antue. Auch ich könnte doch wie Umberto noch im warmen Schlafsack
liegen. Umberto ist einer der beiden Mauleseltreiber. Zwischen ihm und uns hat
sich ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Wir haben viel gelacht, als
er uns ein paar Brocken der Indianersprache Aymara und wir ihm im Gegenzug
deutsch und englisch beigebracht haben und uns dabei fast die Zungen
verknoteten. Als wir gestern zum Hochlager starteten, wollte er unbedingt im
Basislager auf uns warten und auf unsere zurückgelassenen Gegenstände
aufpassen. Man hatte uns auch schon in La Paz vor Dieben in diesen Regionen
gewarnt. Ob es nur ein Gerücht ist, welches die Einheimischen auch gern als
Quelle zum Geldverdienen pflegen, wissen wir nicht. Jedenfalls legten wir es
nicht darauf an und willigten in Umbertos Vorschlag ein.
Christiana drängelt mich zum Weitergehen.
Auch sie zittert schon am ganzen Körper. Wir folgen den Spuren, die frühere
Expeditionen hier hinterlasen haben. Auf einmal verzweigen sie sich. Eine führt
im weiten Bogen zum Nordwestgrat, dem Normalweg. Die andere führt in
Serpentinen durch die steilere Westwand. Ich folge ganz undemokratisch der
zweiten Spur, ganz so schlimm soll es ja durch die Westwand nicht sein. Die
Spanier, die wir gestern noch im Hochlager antrafen, hatten diesen Weg auch
gewählt.
Birgit und Olaf signalisieren uns ihre
Umkehr. Zur Akklimatisation war für sie vorher nicht viel Zeit, was jetzt
leider zum Verhängnis wird. Die Gipfelbesteigung sollte zwar ein Höhepunkt
ihrer Reise werden, über die 6000 erreichten Höhenmeter freuen sie sich
trotzdem.

Allein machen sich Christiana und ich an die
letzten 400m zum Gipfel. Es wird schon langsam hell, leider versteckt sich die
Sonne genau hinter unserem Berg. Nur schnell vorwärts, um sie bald auf dem Gipfelgrat genießen zu
können. Die Westwand steilt sich zusehends auf. Sie bringt es bis auf 50 Grad
Neigung und die Blankeisstellen lassen in uns nicht gerade die sichersten
Gefühle aufkommen. Ich schnaufe und schwitze, nur schnell den Grat erreichen,
denn die Finger wollen noch nicht am Aufwärmprozess teilhaben. Wie groß ist
meine Enttäuschung, als wir endlich auf dem Südwestgrat ankommen und sich die
Sonne immer noch hinter dem Berg versteckt. Die letzten Meter zum Gipfel ziehen
sich noch quälend dahin. Hinter jedem Steilaufschwung, hinter jeder Kuppe
vermuten wir den Gipfel. Nach reichlichen 5h stehen wir dann oben, 6427m über
dem Meeresspiegel. Endlich erreicht uns die lang ersehnte Sonne, zum Wohlbefinden
trägt sie aber kaum bei. Nur der geniale Ausblick entschädigt uns für die
vergangenen Strapazen: der Illampu im Nordwesten, der Titicacasee im Süden und
das Altiplano im Osten. In diesem Moment weis ich, warum ich das alles auf mich
nehme.
Der Abstieg ist schnell getan: Mittag im
Hochlager, Abends im Basislager zusammen mit Birgit, Olaf und Umberto. Am
nächsten Tag strapaziöse 2000m Abstieg nach Sorata.
Die Rückfahrt nach La Paz sollten wir bei
Schneefall erleben. Zu Hause in Deutschland lesen wir von tausend erfrorenen
Lamas in Bolivien. Mir wird langsam klar, wem ich meine angeforenen Finger zu
verdanken habe: El Niño hat mal wieder einiges beim Klima durcheinander
gebracht.
Noch ein paar Tipps zum Schluß:
Es gibt sehr unterschiedliche und teils
widersprüchliche Angaben zum Besteigen des Ancohuma und des Illampu. Wir hatten
jedenfalls unsere liebe Not mit dem verfügbaren Infomaterial. Die beste
Variante ist zweifellos die Besteigung von Sorata aus, auch der Normalweg auf
den Illampu ist von dort zu Fuß erreichbar.
Ursprünglich hatten wir vor, von Sorata aus
per Jeep auf alten Minenstraßen zum Dörfchen Ancoma zu fahren und von da die
beiden Berge zu besteigen. Man kann bei dieser Variante an Lauferei sparen,
jedoch nicht beim Geld ausgeben (die Jeepfahrt ist unheimlich teuer!).
Leckere Kuchen gibt es in Sorata im Cafe
Illampu. Es wird betrieben von Stefan, einem ausgewanderten Schweizer.
|