Stories aus der Sandmausgeschichte

Am Matterhorn  von Volkmar

Da waren wir nun in Zermatt. Es war Mitte August 1990. Mit der Zahnradbahn angekommen standen wir inmitten der vielen Touries. Wir kehrten den Pensionen und Hotels den Rücken und quartierten uns auf dem Zeltplatz ein...
  Erst durch die Wende war diese Reise möglich geworden, durch die Währungsunion auch das finanzielle Umfeld gesichert. Neue Ausrüstung wurde gekauft, die vorher nur mit bester Beziehung vielleicht irgendwie auch in ähnlicher Qualität im Osten besorgt werden konnte, jetzt brauchte man nur noch einzukaufen. So standen wir also gut ausgerüstet vor einem heimlichen Traum - dem Matterhorn. Vorerst jedoch war es nicht zu sehen und wir auch noch gar nicht aklimatisiert. Mit Aklimatisation kannten wir uns nur wenig aus, aber das man sie braucht, war uns klar. Wir stiegen erstmal aufs Mettelhorn. 3400 Meter - ein Aussichtsberg. Das lief gut also jetzt was Richtiges. Monte Rosa - Dufourspitze. Mit der Zahnradbahn bis Rotenboden und dann über den Gletscher zur Monte Rosa Hütte, das Matterhorn wie man es kennt immer im Nacken. Nein dieser Berg war uns zu steil, wir hatten ja bisher keine alpine Erfahrung sammeln können. Aber auch die vermeintlich leichtere Dufourspitze nahm uns voll in Anspruch. 2.30 Uhr wecken, 3.30 Uhr Abmarsch. Finsternis, Kälte. Der Schnee knirscht, Stirnlampen flackern es sind gut 40 Leute unterwegs. An einer felsigen Steilstufe prasseln plötzlich Steine von oben. Man kann nichts sehen, nur hoffen daß es einen nicht trifft. Bald ist das Gelände überwunden und wir stehen am Anfang eines Gletschers, der sich bis weit hinauf zum Gipfel zieht.
  Jetzt legen wir die Steigeisen an, zum zweiten Mal überhaupt. Gestern auf dem Weg zur Hütte war Premiere. Mit diesen Wunderwaffen an den Füßen und einem nagelneuen Eispickel in der Hand fühlen wir uns unschlagbar und steigen motiviert los. Bald schon kommen die ersten Spalten und wir müssen einen Weg finden, denn die Ideallinie haben wir in der Dunkelheit verloren. Jetzt dämmert es aber schon und mit einigen Manövern sind wir wieder im Geschäft. Schier endlos geht es dann stetig bergan. Etwas später setzt ein leichtes Hämmern im Kopf ein, wenn ich zu lange ohne Pause steige. Kurz die mangelnde Akli macht sich bemerkbar. Für uns recht ungewohnte Symptome aber die behindern nur wenig, also gehts weiter. Ein beeindruckendes Panorama baut sich vor uns auf. Das Matterhorn schon in der Sonne, einge andere Spitzen auch, viele aber noch im Schatten. Wärend sich unten zwei gigantische Gletscher wie Autobahnen durchs Taweg winden trohnt weit entfernt, aber gut zu erkennen der Mont Blanc. Diese wundervolle Aussicht und das Gefühl bald den zweithöchsten Berg der Alpen zu erklimmen spornen uns weiter an. Denn was wir noch sehen macht uns Sorgen. Waren am Morgen noch keine Wolken am Himmel, so quellen sie jetzt da und dort schon mächtig auf. Und vor Gewittern und Wetterstürzen in Hochgebirgen sind wir gewarnt worden. Wir beeilen uns so sehr es geht, doch es kommt auf dem schmalen Grat die letzten paarhundert Meter zum Gipfel immer wieder zu Stau mit schon absteigenden Leuten. Gegen 14 Uhr sind wir endlich oben und sind erstmal froh und schauen in die Runde. Pause. Das ist unser erster Viertausender, ein Gefühl von echter Freiheit durchströmt uns. Noch vor einem Jahr bei der Grundausbildung in der NVA mit Gasmaske über den hei&ßen, staubigen Acker gekrochen, waren wir jetzt am Ziel unserer Träume. Wahnsinn, daß das überhaupt sein kann. Wir sind glücklich...
  Noch hängen die Wolken auf italienischer Seite fest, kein Grund also für Streß. Der Abstieg ist nur zu Beginn etwas luftig, so daß man schon aufpassen muß, aber später wird er dafür um so leichter. Den Grat hinter uns wissend schreiten wir weit aus, den Hangabtrieb nutzend geht es schnell voran. Das Gefälle ist nahezu ideal. Die Spalten und den Weg hindurch kann man sehen, die Felsstufe kein Problem, so sind wir kurz nach 17Uhr wieder an der Hütte. Jetzt begint der Gewaltmarsch. Wir wollen noch zur Bahn, um abends wieder im Zelt zu sein. Was wir nicht wissen, während wir uns mit großem Rucksack Schritt für Schritt den Gegenanstieg zur Gornerflue hinaufkämpfen, die letzte Bahn fährt 19Uhr. Kurz unterhalb der Bahnstation können wir nicht mehr. Wieder Pause. Nach zehn Minuten, ohne Rucksack nehmen wir den letzten Anstieg und sehen, die letzte Bahn ist schon lange weg. Na, irgendwie war uns das wohl schon klar, sonst hätten wir die Rucksäcke mitgenommen. Unter dem Vordach der Station verbringen wir auf einem Sims die verregnete Nacht. Schlafen aber durch Schlafsack und Biwacksack geschützt recht gut, auch wenn hin und wieder Blitze krachen. Das alles ist zwei Tage her und wir fühlen uns schon wieder blendend, als wir erneut losziehen. Wir kommen hier nicht weg, ohne es versucht zu haben, das Matterhorn. Von Zermatt laufen wir nach Schwarzsee und kommen eben dort an, als ein Hubschrauber einen Toten aus der Ostwand bringt. Einen Bergführer. Sein Klient war abgerutscht und er war mitgerissen worden. Unser Optimismus schwindet nicht, aber wir werden nichts anbrennen lassen. Am frühen Nachmittag in der Hörnlihütte angekommen bleibt genügend Zeit, schon mal den Einstieg in Augenschein zu nehmen und mit einigen Leuten zu beraten. Man spricht uns Mut zu und so sind wir nun völlig entschlossen es durchzuziehen.
  Wieder im Dunklen wenn auch erst 3.15Uhr sind wir am Fels. Fast als letzte überwinden wir die Eistiegswand die schon mit eine der Schwierigkeiten des Weges ist. Bald ist es hell, die Wand hat schließlich Morgensonne. Nun so völlig auf uns gestellt, verfehlen wir öfter den Weg, finden ihn aber immer wieder. Weg soll in diesem Fall die Ideallinie sein. Mittags oder kurz danach erreichen wir die Solvayhütte auf 4000m. Das ist spät. Wir überlegen. Wenn wir so weitermachen, sich wir noch vor der Dunkelheit wieder hier, den Rest werden wir sehen. Also hinauf! Alles läuft planmäßig und gegen 17Uhr sind wir oben. Ein heftiger Wind bläst Eiskristalle über den Gipfelgrat, so daß wir uns nicht noch zum italienischen Gipfel bemühen, sondern die Statue des St. Bernhard als Rastplatz nehmen. Nur knapp 5Minuten bleiben wir, es ist höchst ungemütlich und die Zeit drängt. St. Bernhard ist nicht nur unser Schutzpatron, sondern auch Abseilring und so verschwinden wir zügig.
  Da die Schulter und der Aufschwung darüber mit Fixseilen versehen ist, muß man lediglich im Gipfelbereich sehr vorsichtig sein. Nun wir sind vorsichtig und deshalb auch langsam, erreichen aber noch die Hütte, bevor sich der Schatten des Berges darüber senkt. Und wärend es eben noch angenehm warm war, sinkt plötzlich die Temperatur auf minus sieben Grad. In der Nacht war es sicher noch viel kälter. Die vorhandenen Decken schützen uns und an die zehn weitere Personen jedoch recht gut. Das Getränk in meiner Plasteflasche war jedoch am Morgen ein massiver Eisklotz. So stiegen wir schnell ab, um endlich wieder unsere Ruhe, etwas zu essen und zu trinken zu haben. Im Hotel Schwarzsee da wo vor zwei Tagen der Hubschrauber landete lassen wir uns ein teures Essen schmecken und blicken beide stolz auf die Kante die über uns kühn in den Himmel ragt. Jetzt ist jede Zacke dort nicht mehr nur Felsen, sondern ein Stück von unserem Weg. Selbst die Schutzhütte ist von hier noch zu sehen. Dann steigen wir ab.
  Eine Begegnung ist mir dann noch im Gedächtnis geblieben. Am Nachmittag unten in Zermatt angekommen, fragt uns ein Einheimischer. "Und, wart ihr oben? ... Na auf dem Matterhorn!" - "Ja." Wir sagen es nicht ohne Stolz. Die Tage zuvor sahen wir doch eigentlich genauso aus und keiner hat uns angesprochen. Er hat es wohl irgendwie gespürt...